Merz wird erst im zweiten Wahlgang zum Kanzler gewählt. Das gab es in der Bundesrepublik noch nie. CDU und SPD in Rheinland-Pfalz sind aufgewühlt.
Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) spricht von einem „Start mit einem blauen Auge“ und der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun von einem „Fehlstart“. In der rheinland-pfälzischen CDU herrschte nach der Niederlage von Friedrich Merz im ersten Wahlgang zunächst Schockstarre. Fassungslosigkeit gab es auch in der SPD.
„In parteiinternen Kanälen regiert das Entsetzen“, berichtet ein hochrangiges CDU-Mitglied, das seinen Namen nicht gedruckt sehen will, nach dem ersten erfolglosen Wahlgang. „Keiner versteht, wie es dazu kommen konnte. Gab es keine Probeabstimmungen? Von der Situation profitiert doch nur einer: die AfD.“
Aufatmen nach der erfolgreichen Wahl von Kanzler Merz
Als Merz im zweiten Anlauf zum neuen Kanzler gewählt wird, ist das Aufatmen zwar groß. Allerdings: alle Stimmen der neuen Koalition bekommt er auch dann nicht.
Über die Gründe, Merz die Stimme zu verweigern, wird heftig spekuliert: ein Denkzettel? Aber warum? Von selbstherrlichem Agieren Merz´ist die Rede. Oder geht es um gebrochene Wahlkampfversprechen? Oder um das gemeinsame Abstimmen mit der AfD, die der Verfassungsschutz inzwischen als gesichert rechtsextremistisch einstuft? Aber auch nicht öffentlich ausgesprochene grundsätzliche Vorbehalte gegen Merz als Bundeskanzler werden für möglich gehalten. Dabei wird immer wieder das beschlossene gigantische Schuldenpaket genannt.
Regierung von Anfang an mit Unsicherheit behaftet
Merz habe schweren Schaden genommen, sagt ein CDU-Mitglied, das nicht namentlich genannt werden will. Seine Niederlage im ersten Wahlgang zeige auch das Dilemma in der „großen“ Politik. „Solch ein Vertrauensbruch ist eigentlich nicht zu kitten. Genau das ist, was die Leute erwarten: dass man sich auf etwas verlassen und vertrauen kann. Wenn das nicht ist, wendet man sich ab.“ Die Regierung werde nun von Anfang an mit Unsicherheiten behaftet sein, sagt ein anderes Parteimitglied. „Das wird wie Pech an ihm kleben.“
Entsetzen und Kritik an der Nicht-Zustimmung für Merz im ersten Wahlgang gibt es bei beiden Koalitionspartnern, CDU und SPD. „Friedrich Merz ärgern zu wollen, einen Denkzettel zu verpassen, mag mancher toll finden. Ich empfinde das aber als schädlich und der Situation nicht angemessen“, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete und stellvertretende Parteichef Sven Teuber aus Trier. Persönliche Interessen gehörten nach demokratischen Prozessen und klaren Mehrheitsergebnissen hinter die des Landes gestellt.
CDU-Landes- und Fraktionschef Gordon Schnieder machte die SPD zwar nicht direkt für die Niederlage im ersten Wahlgang verantwortlich, betont aber: „Ich stehe wie die Abgeordneten der Unionsfraktion fest hinter Friedrich Merz.“
Schweitzer und Schnieder blicken nach vorn
Schweitzer und SPD-Landeschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler betonten auch die breite Zustimmung der SPD-Basis zur Koalition: „SPD und Union haben einen guten Koalitionsvertrag miteinander geschlossen und es gibt ein klares Votum für die neue Regierung“, sagte Schweitzer nach dem ersten Wahlgang. „Das hat auch die SPD Bundestagsfraktion klar signalisiert, das ist auch, was die Bürgerinnen und Bürger erwarten.“ Bätzing-Lichtenthäler formuliert es so: „Wir als SPD stehen zu diesem Koalitionsvertrag und haben in einem Mitgliedervotum dazu auch eine enorme Zustimmung bekommen.“
Nach dem erfolgreichen zweiten Wahlgang sagt der Ministerpräsident: „Nun gilt es den Blick nach vorne zu richten.“ CDU-Chef Schnieder äußert sich zuversichtlich: „Die neue Bundesregierung wird Deutschland wieder nach vorne bringen.“ Es gehe jetzt um Stabilität und Stärke. „Friedrich Merz wird das gelingen.“
Wissenschaftler Falter sieht einen „ganz schlechten Start“
Mit der gescheiterten ersten Wahl sei Misstrauen zwischen den Koalitionsparteien gesät worden, sagt der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Das mindere das Vertrauen in die Berechenbarkeit der Koalition aus CDU, CSU und SPD. „Das heißt, mit anderen Worten, hier wurde ein Element der Instabilität geschaffen“, erklärte Falter. „Das kann sich zwar im Laufe der Zeit bessern, aber es ist unbestreitbar ein ganz schlechter Start.“
Viele fragten sich nach diesem historisch einmaligen Ereignis: „Kann man dieser Regierung vertrauen, wenn die schon so holprig startet?“, sagt der Trierer Politologe Jun. „Das Vertrauen der Menschen in die Politik leidet wieder.“ Und: „Das Narrativ der AfD: „Guckt, die kriegen das nicht hin!“ wird bestätigt.“