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Kriegsende 1945 in Bildern: Zwischen Apokalypse und Aufbruch

by Posted on 8. Mai 2025

Groß sind Trauma und Zerstörung nach Deutschlands Kapitulation am 8. Mai 1945. Bilder zeigen, wie die Menschen das Kriegsende auf völlig unterschiedliche Weise erlebten.

Die offizielle Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 ist die große Chiffre für das Ende des Krieges, den das NS-Regime sechs Jahre zuvor über die Welt gebracht hat. Doch die Menschen überall im Land erleben den Moment, in dem der Frieden kommt, den Beginn ihrer Nachkriegszeit, zu ganz unterschiedlichen Zeiten. Und auf völlig verschiedene Weise: eine Collage über zwei Wochen im Frühling voller Hoffnung und Drama, Euphorie und Verzweiflung, Schuld und Erleichterung.

Hans im Glück

Plötzlich rasseln Panzerketten ganz in der Nähe seines Verstecks. „Die Russen sind da“, ruft Hans aufgeregt. „Hören Sie, Frau Schönbeck.“ Seit fast zwei Jahren verbirgt sich der 20-Jährige hier in der Berliner Laubenkolonie „Dreieinigkeit“ vor Hitlers SS-Schergen. Zuerst bei einer Bekannten seiner Großmutter. Nach deren Tod bei ihrer Freundin Maria Schönbeck.

Jetzt, am 25. April 1945, legt Hans behutsam den gelben Stern an und geht seinen Rettern entgegen – frei und sorglos. Doch schon am ­nahen Lichtenberger Wasserwerk wirft ihn eine Gruppe Rotarmisten unversehens gegen eine Wand, bringt Maschinenpistolen in Anschlag. Kein Zweifel, sie wollen ihn erschießen. „SS“, brüllt einer von ihnen.

Dann aber hört er eine fast freundliche Stimme: „Bist du ein Jude?“, fragt ein zufällig dazukommender Offizier auf Jiddisch. „Ja“, antwortet Hans in derselben Sprache. Zum Beweis muss er das Glaubensbekenntnis beten: Schma Jisrael.

„Du kannst gehen“, sagt der Russe daraufhin. „Aber mach den Stern ab!“ Denn die Soldaten hatten nach der Befreiung des Konzentrationslagers Majdanek im vergangenen Sommer bemerkt, dass sich viele SS-Wachmänner mit Judensternen tarnten. Seither muss jeder, den sie mit dem von den Nationalsozialisten befohlenen Stigma aufgreifen, um sein Leben fürchten.

Für Hans aber ist die Zeit der Angst endgültig vorüber. Keine vier Wochen später beginnt der junge Mann ein Volontariat beim neu gegründeten Berliner Rundfunk. Und ein Vierteljahrhundert später zählt Hans Rosenthal als Moderator der ZDF-Quizshow „Dalli Dalli“ zu den beliebtesten Deutschen.

Ein General gibt auf

Epfenhofen in Südbaden, 26. April 1945, gegen Mittag. General Georg Keppler hat seinen Stab zusammengerufen. Der Offizier kommandiert ein Armeekorps der Waffen-SS, deren Mitglieder als besonders fanatische Kämpfer gelten. Doch der Zustand von Kepplers Truppen ist desolat. Es fehlt an Gerät, Geschosse von feindlichen Tief­fliegern prasseln unentwegt. Eigentlich sollte Keppler den Oberrhein verteidigen, aber seit ­Tagen weichen seine Leute zurück. Inzwischen haben französische Einheiten sie eingekesselt, ein Ausbruchsversuch ist gescheitert. Und so eröffnet der General dem Stab nun einen eigenmächtigen Entschluss: „Der Kampf wird abgebrochen.“ Jeder möge sich irgendwie selbst durchschlagen, alleine oder in Gruppen.

Das Tausende Mann starke SS-Korps: Es löst sich einfach auf.

Schwarzwald-Idylle

So einen Hagel haben sie in Bachheim noch nicht erlebt. Zwei Stunden prasselt das Eis und vernichtet die Obsternte des Schwarzwalddörfchens „hundertprozentig“, wie der katholische Pfarrer Wilhelm Schuh notiert.

Geradezu unspektakulär erscheint den Einwohnern da das andere Ereignis des 26. April 1945. Gegen 9.30 Uhr kommen einige französische Soldaten ins Dorf. „Kampfhandlungen fanden keine statt, auch kein Artilleriebeschuss.“ Der französische Leutnant erkundigt sich nach deutschen Soldaten und lässt den Ort friedlich besetzen. Es gibt keinen Übergriff, keine Plünderung, keine Vergewaltigung. Der Leutnant sei eben ein „streng gläubiger Katholik“ gewesen, bemerkt der Pfarrer mit gewisser Genugtuung. Um 17 Uhr ziehen die Franzosen wieder ab. Der Krieg ist zu Ende – und Bachheim redet über das Wetter.

Die Rache der Werwölfe

Es ist ein verzweifelter Versuch, weiteres Blutvergießen zu vermeiden: In der Nacht zum 28. April 1945 besetzt eine Gruppe von Männern den Radiosender in Ismaning bei München. Drahtzieher sind Offiziere der Wehrmacht, zum Teil einst glühende Anhänger des NS-Regimes. Doch jetzt fordern sie ihre bayerischen Landsleute über den Rundfunk dazu auf, in Dörfern und Städten die ansässigen NS-Funktionäre zu entmachten.

Doch die „Freiheitsaktion Bayern“, deren Anführer einen Waffenstillstand mit den nahenden US-Truppen aushandeln wollen, scheitert blutig – nicht zuletzt am Fanatismus eines Un­beirrbaren: Sieben Männer lässt Paul Giesler, Gauleiter von München-Oberbayern und tief überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus, sofort verhaften und hinrichten. An etlichen ­Orten in Bayern ermorden NS-Schergen weitere Aufständische.

Giesler ist nicht der einzige NS-Repräsentant, der in den letzten Kriegstagen mit erbarmungsloser Härte Linientreue durchsetzt: Überall im Land richten Regimeanhänger Deserteure und abtrünnige Zivilisten ohne Prozess hin. Selbst in den bereits besetzten Gebieten im Westen ­ töten geheime Mordkommandos, sogenannte „Werwolf“-Gruppen, mit den Alliierten kooperierende Bürgermeister und andere „Verräter“. Schätzungen zufolge fallen dem sinnlosen Treiben der NS-Partisanen im Frühjahr 1945 Hunderte oder gar Tausende Deutsche zum Opfer.

Gauleiter Giesler gibt auch den Befehl, in der kleinen Bergarbeiterstadt Penzberg 16 Menschen zu ermorden, darunter den früheren so­zialdemokratischen Bürgermeister und einige Mitstreiter, die nach dem Radioaufruf der „Freiheitsaktion“ versucht haben, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Acht der Aufstän­dischen werden erschossen, acht weitere, darun- ter zwei Frauen, werden zur Abschreckung an verschie­denen Plätzen der Stadt für alle sichtbar aufgeknüpft.

Nur einen Tag später marschieren die US- Truppen in Penzberg ein.

Die Befreiung

Am Nachmittag des 29. April erreichen Einheiten des 157. US-Infanterieregiments ein weitläufiges Areal mit rund 200 Unterkünften, Bürobauten, Schulungsheimen, Werkstätten und weiteren Gebäuden nordwestlich von München: die SS-­Garnison Dachau.

Auf einem Gleis neben der Zufahrt steht ein Eisenbahnzug. Was die GIs dort vorfinden, erschüttert selbst abgebrühte Veteranen: In vielen der 39 Güterwaggons, teils auch davor, liegen ausgemergelte, geschundene Leichen. Verhungert, erschossen, totgeprügelt. Mehr als 2000 ermordete Zivilisten, darunter auch Kinder.

Verstört rücken die Amerikaner auf das Gelände vor. Auf Widerstand treffen sie kaum. Die meisten SS-Leute samt den Offizieren sind längst geflohen. Schließlich erblicken die Männer am anderen Ende des Areals Wachtürme; von einem hängt eine weiße Fahne. Die meisten Besatzungen ergeben sich kampflos.

Vor den GIs aber erstreckt sich nun ein eigens mit Gitterzäunen und elektrisch geladenem Stacheldraht abgetrennter Bezirk. Das Dachauer Konzentrationslager. Als eines der ersten diente Dachau vielen späteren KZs als Modell. Und auch wenn es nie ein Vernichtungslager war, eine Todesfabrik wie Auschwitz-Birkenau, begegnet den GIs jetzt die Hölle auf Erden.

Mehr als 32000 Menschen jeden Alters sind hier auf 278 mal 583 Metern zusammengepfercht. Verdreckt, krank, unterernährt, einige abgemagert bis auf das Skelett. Manche sind vor Todes- angst apathisch, andere hypernervös. In einigen Gebäuden sind Leichen zu Haufen gestapelt – seit Wochen ist das Krematorium ausgefallen.

Nun erhebt sich inmitten des Grauens ein Tumult, drängen Häftlinge an den Zaun und empfangen die Amerikaner mit Freudenschreien und Hurrarufen: Wer noch die Kraft dazu hat, feiert die lang ersehnte Rettung. Selbst Kranke schleppen sich aus dem Lazarett, lachen und winken.

Von den Befreiern jedoch verstehen etliche nicht, wie ein Mensch sich an diesem Ort des Schreckens überhaupt noch freuen kann. Kreidebleich wanken viele der amerikanischen Soldaten durch die Lagerstraßen. Nicht wenige übergeben sich.

Mehrmals verlieren einzelne GIs oder Gruppen die Kontrolle über ihr Entsetzen, über ihre Wut, und erschießen wahllos Wachleute, die sich bereits ergeben haben. Machen gefangene SS-­Männer mit dem MG nieder. Andere der ­vormaligen Peiniger werden von Lagerinsassen erschlagen, die jetzt eine Chance zur Vergeltung nutzen. Insgesamt kommen zwischen 50 und 100 Deutsche bei den Racheakten ums Leben.

Weil unter den Insassen Seuchen grassieren, stellen die Befreier das KZ Dachau noch meh­rere Wochen unter Quarantäne. Ab dem Sommer nutzen die US-Besatzungsbehörden das Gelände ihrerseits als Internierungslager: für mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher, die vor ein Gericht gestellt werden sollen.

Von Ratten und Menschen

Es ist Ende April, und die fünf Menschen sind inzwischen so schwach, dass sie die Bisse der Ratten nicht mehr abwehren können. Mehr als zwei Monate schon verbringen der 22-jährige Ralph Giordano (später ein bekannter Journalist und Schriftsteller), seine zwei Brüder und ihre Eltern in dem dunklen, feuchten, kalten Keller. Sie mussten sich verstecken, weil der jüdischen Mutter die Deportation in den Osten drohte. So bezog die Familie heimlich den Kellerraum im Hamburger Stadtteil Alsterdorf, den Ralph zuvor ausgekundschaftet hatte.

Anfangs lastet vor allem der Zwang zur Stille auf den Verborgenen, denn die Nachbarn dürfen keinen Laut hören. Doch immer stärker wird auch das physische Leid, zehren Dunkelheit, Kälte und die erzwungene Bewegungslosigkeit an den Körpern. Als Mitte April auch die zuvor von Freunden organisierte Versorgung mit Proviant versiegt, schwinden die Lebenskräfte rapide – und die Ratten kommen. Nur die Nachrichten vom Vormarsch der Alliierten auf Hamburg, die sie von einer Unterstützerin erhalten, befeuern den Willen der Giordanos durchzuhalten.

Die Rettung kommt fast zu spät. Mit markigen Worten verkündet die Helferin am 3. Mai, dass Hamburg vor den britischen Truppen kapituliert hat: „Die Scheiße hat ein Ende.“ Doch erst am nächsten Tag traut sich die vollkommen entkräftete Familie kriechend an den Straßenrand – wo ein britischer Panzerfahrer sie voll Entsetzen und Mitleid bestaunt.

Der brüskierte Aristokrat

Ein bisschen wirkt es so, als würde der Herzog Audienz halten. Anfang Mai 1945 öffnet sich das Tor von Schloss Blankenburg im Ostharz, und im Hof empfängt Hausherr Ernst August von Hannover, Oberhaupt der Welfen, einer der reichsten Dynastien des deutschen Hochadels, erstmals Abgesandte der britischen Truppen, die kurz nach den Amerikanern in die Gegend einmarschiert sind. Der Herzog reicht huldvoll seine Hand – doch die Rollen sind vertauscht: Der Offizier ignoriert kalt die Begrüßung des Aristokraten, den er vermutlich lediglich über die Bedingungen der Besatzung in Kenntnis setzen will.

Einige Wochen später aber gibt es doch ein Entgegenkommen: Wohl weil die Welfen, deren Rüstungsfirma im Nationalsozialismus von der Ausbeutung ungezählter Zwangsarbeiter profitiert hat, mit dem englischen Königshaus verwandt sind, helfen ihnen die Soldaten der britischen Krone. Denn es zeichnet sich ab, dass die Truppen der Roten Armee die Region übernehmen werden, die Welfen Enteignung fürchten müssen.

Unter Militärschutz befördern die Briten deshalb die adelige Familie, deren Kunstschätze und den größten Teil ihres Inventars zur welfischen Sommerresidenz nahe Hannover im britischen Sektor. Als die Sowjetsoldaten am 21. Juli das Kommando im Ostharz übernehmen, ist Schloss Blankenburg wie leergefegt.

Eine Windel für den Frieden

Über Stunden kauert die achtjährige Marianne Wagner nun schon in dem dunklen, höhlenartigen Erdloch, zusammen mit ihrer Familie und anderen Bewohnern aus dem nahen Ribnitz. Sie ist ängstlich, hört die Erwachsenen flüstern. Ihr ­haben sie das Sprechen verboten.

Am Morgen dieses 1. Mai sind sie alle hierhergekommen, in die Erdbunker im Wald, die einst für die deutschen Soldaten ausgehoben wurden. Nun verstecken sich die Familien in ihnen vor den sowjetischen Truppen, die durch die Region ziehen. Im 50 Kilometer entfernten Stral­sund sind sie schon.

Ein paar Wertsachen haben Mariannes Eltern in das Versteck mitgenommen, verbergen sie im Kinderwagen des zweijährigen Bruders. Marianne bekommt mit, wie Kundschafter die ­Höhle verlassen. Bald berichten sie: Die Russen sind am Unterschlupf vorbeigezogen und befinden sich jetzt in Ribnitz, sitzen auf ihren Fahrzeugen, fragen die Menschen nach Zigaretten.

Am Abend wagt sich auch Familie Wagner aus dem Erdloch, hisst eine Windel als Friedensflagge und kehrt in die Stadt zurück. Unheimlich sieht es für Marianne dort jetzt aus: Panzer stehen vor dem Rathaus, direkt vor dem Milchgeschäft, quer auf den Straßen.

Für das Mädchen ist der Krieg zu Ende, aber die Angst – so erinnert sie sich später – noch lange nicht.

Die besten Köpfe des Feindes

Am 3. Mai 1945 wartet Dr. Wernher von Braun, der technische Direktor der deutschen Heeresversuchsanstalt, auf seine Vernehmung. Mit etlichen seiner Mitarbeiter ist der Raketenkonstrukteur in einem Militärgebäude im idyllischen Garmisch-Partenkirchen interniert.

Die Inge­nieure waren auf der Flucht vor der Roten Armee mitsamt Raketenteilen, Geräten und Dokumenten zunächst von ihrem Standort im mecklen­burgischen Peenemünde in den Harz umgezogen und dann im April weiter nach Bayern verlegt worden.

Nach Hitlers Selbstmord haben sie sich am 2. Mai den Amerikanern ergeben.

Von Braun ist ein äußerst begehrter Besiegter. Er soll der US-Armee über seine streng ge­heimen Wehrmacht-Projekte berichten, zu denen vor allem die Entwicklung neuartiger Raketenwaffen und Lenkflugkörper gehörte. Aber nicht nur als vorübergehender Informant ist von Braun wertvoll für die USA – das weiß auch der Kon­strukteur selber. Denn er nimmt an, dass die Großmacht in Kürze eigene, gegen die UdSSR gerichtete Raketen entwickeln und bald wohl auch den Weltraum erobern will – sein Wissen um Raketentechnik kann für den Erfolg der Projekte entscheidend sein.

Von Brauns Ziel ist es daher, sich mit seinen Kollegen und seinen Forschungen voll in den Dienst der Amerikaner zu stellen und die Aus­- reise in die USA zu erreichen. Er fordert sogar selbstbewusst ein persönliches Gespräch mit dem amerikanischen Oberbefehlshaber General Dwight D. Eisenhower.

Zu dieser Unterredung kommt es nicht – doch im Mai vernehmen den Deutschen in Garmisch-Partenkirchen gleich mehrere Mitarbeiter alliierter Geheimdienste. Er schildert dabei auch seine Vision für die Raumfahrt, prophezeit eine Raumstation in der Erdumlaufbahn, bemannte Mondfahrten. Er skizziert zudem zukünftige ­Atlantiküberquerungen in 40 Minuten und verspricht den Militärs Flugabwehrraketen.

Und tatsächlich entscheiden sich die Amerikaner dafür, die deutschen Wissensträger um von Braun ins Land zu holen. Dass diese bis vor Kurzem noch für den „Endsieg“ der National­sozialisten geforscht haben, spielt nur noch eine untergeordnete Rolle.

Schon bald wird von Braun mit 126 deutschen Raketenbauern in die USA übersiedeln. Im Wettlauf um die Technik der Zukunft hat sich Washington die wohl besten Köpfe des Feindes gesichert.

Jever will nicht sterben

„Heute um sieben Uhr abends alle auf den Marktplatz!“ Seit dem frühen Morgen des 3. Mai kreist der Aufruf zum Widerstand durch das friesische Städtchen Jever: getuschelt, hinter vorgehaltener Hand, und doch unüberhörbar.

Der Ort liegt unweit von Wilhelmshaven. Die NS-Führung hat die Marinestadt samt Umgebung zur „Festung“ erklärt. Das Gebiet soll um jeden Preis verteidigt werden: „Lever dood as Slav!“, hetzt ein NS-Funktionär.

Aber die Bürger Jevers wollen nicht sterben. Und als das „Jeversche Wochenblatt“ am 2. Mai Hitlers Tod vermeldet, sehen sie im weiteren Kampf überhaupt keinen Sinn mehr. Gut 2000 Menschen versammeln sich daher nach den getuschelten Aufrufen am nächsten Abend auf dem Marktplatz. Die Menge ist sich schnell einig: „Ergeben!“, skandieren viele, während auf dem Schlossturm einige Mutige schon die weiße ­Flagge hissen. Die Versammlung schickt ihren ­NSDAP-­ Kreisleiter nach Wilhelmshaven. Er soll Jever aus dem Kampfgebiet heraushandeln.

Und der Widerstand geht weiter: In der gleichen Nacht sabotieren Einwohner Verteidigungsstellungen, die Wehrmachtstruppen an den Ausfallstraßen errichtet haben. Die Funktionäre in Wilhelmshaven lehnen das Begehren der Jeveraner zwar ab. Am Morgen des 4. Mai ziehen sich die Soldaten aber gleichwohl aus der Stadt zurück. Für Jever ist der Krieg zu Ende.

Görings Champagner

Amerikanische und französische Soldaten ge­winnen den Wettlauf: Als erste alliierte Truppen erreichen sie am 4. Mai Berchtesgaden, ein Städtchen in den bayerischen Alpen am Fuße des Obersalzbergs, der eines der bedeutendsten Macht­zentren in Hitlers Reich gewesen ist. In seinem dortigen Landhaus hat der Diktator fast ein Drittel der Regierungszeit verbracht, Staatsgäste empfangen, den Überfall auf Polen vorbereitet.

Doch nun ist der „Berghof“ nur noch eine ausgebrannte Ruine: Ende April haben britische Bomber das Areal angegriffen, dann SS-Mit­­glieder das Gebäude vor ihrem Abzug in Brand gesteckt. Kampflos besetzen die Alliierten die Gegend, samt den Residenzen, die sich andere Größen des NS-Regimes dort errichtet haben. Die Soldaten beschlagnahmen Tafelsilber und andere Schätze, fahren in Hitlers Dienstlimousinen her­um, stoßen auf geraubte Kunstwerke, darunter Bilder von Rembrandt und van Gogh. Und sie plündern den Weinkeller im Haus von Hermann Göring: Geschätzte 10000 Flaschen lie­gen dort in Regalen, die sich bis zur Decke ziehen.

Nachdem die Nachricht von der deutschen Kapitulation eingetroffen ist, knallen Korken und Freudenschüsse auf dem Obersalzberg, feiern Amerikaner und Franzosen ausgelassen ihren Sieg – und stoßen an mit Görings Champagner.

Die Rettung eines Retters

„Tod durch Erschießen“ lautet das Urteil, das dem Wehrmachtsoffizier Heinz Drossel am 4. Mai 1945 verkündet wird. Denn der 28-Jährige ist ein Widerständler in Uniform. In den sechs Jahren seines Kriegseinsatzes hat er immer versucht, menschlich und aufrecht zu bleiben. Während eines Fronturlaubs versteckte er jüdische Nachbarn, versorgte sie mit Essen und einer Pistole.

Und am Ende wandte er sich sogar gegen SS-Soldaten: An der Ostfront ignorierte er den Befehl eines SS-Kommandeurs, der für seine ­Einheit wohl den Tod bedeutet hätte – und ließ seine Männer stattdessen auf dessen Leute schießen. Nun soll er, nur wenige Tage vor der absehbaren deutschen Kapitulation, für diese Befehlsverweigerung sterben.

Doch es kommt anders. Drossel erklärt, dass die SS nach dem Tod des Führers ohne­hin keine Befehlsgewalt mehr habe, und ver­un­sichert so womöglich den Richter: Das Urteil des Stand­gerichts wird jedenfalls nicht sofort vollstreckt.

In der folgenden Nacht kann ihn ein Ka­me­rad befreien. Nach einer kurzen, wilden Flucht gelangt er am 6. Mai in die Hände der vorrückenden Roten Armee.

Drossel ist wieder gefangen – aber er lebt. Das Kriegsende rettet den Mann, der selber Menschen vor dem Tod bewahrte.

Tödlicher Weinbrand

Sie will sich nur etwas beruhigen. Also greift die 24-jährige Anneliese nach einer Flasche „Asbach Uralt“ im Gepäck, um einen Schluck zu trinken. Doch der Vater entreißt ihr den Weinbrand. Er hat ihn heimlich mit Zyankali versetzt.

Der Reichsstatthalter für Hessen, Jakob Sprenger, weiß schon lange, dass alles verloren ist: der Krieg, Deutschland, die Partei. Seitdem er den Amerikanern Ende März kurz vor der ­Besetzung Frankfurts entkommen ist, führt er das Gift mit sich.

Und nun, da sich in den Abendstunden des 7. Mai auch hier, in ihrem Versteck in den österreichischen Alpen, Soldaten der US Army nähern, hat er plötzlich seiner Tochter verkündet, sich gemeinsam mit seiner Frau umzubringen. Nachdem er der panischen Anneliese ihren vermeintlichen Beruhigungstrunk entwunden hat, trinken die beiden Eltern sofort von dem Weinbrand – und ersticken binnen Sekunden qualvoll.

Doch der Tochter bleibt keine Zeit für ­Trauer. Notdürftig verscharrt sie die Leichen mit einem Helfer im Wald und flieht. Erst im Juni wird sie verhaftet und kehrt noch einmal in den Alpenort zurück, begleitet von Agenten des US-Geheimdienstes.

Die Amerikaner überprüfen, dass sich auch dieser NS-Funktionär – wie so viele andere – am Kriegsende seiner Verantwortung durch Selbstmord entzogen hat.

Die ersten Freudenschüsse

Mit ihrem Lebensgefährten streift die 44-jährige Journalistin Ruth Andreas-Friedrich am 8. Mai durch die zerstörten, merkwürdig stillen Straßen Berlins. Von einem schläfrigen Posten an der ­sowjetischen Kommandantur hört sie es dann: Seit zwölf Uhr mittags ist dort Feiertag, wegen des Waffenstillstands. In ihr Tagebuch schreibt sie darüber: „Plötzlich überkommt uns der ganze Jubel des Befreitseins. Frei von Bomben! Frei von Verdunklung! Frei von Gestapo und frei von den Nazis!“ An diesem Abend feiern sie und ihre Freunde, mit allem, was sie haben. „Pax nobiscum!“ – der Friede sei mit uns.

Doch der nächste Tag ist wie jeder andere. Das große Aufräumen hat gerade erst begonnen. Wie zuvor gibt es keine Elektrizität oder fließendes Wasser. Das Essen ist knapp, die Geschäfte geschlossen oder ausgeplündert. Nur die Bäcker arbeiten schon wieder. Zum Abendessen gibt es Suppe aus Brühwürfeln und klebrig-feuchtes Brot.

Und das Kriegsende bedeutet für Ruth An­dreas-Friedrich und ihre Freunde auch Verlust: einer Aufgabe. Gemeinsam hatten sie die kleine Widerstandsgruppe „Onkel Emil“ gegründet. Zusammen organisierten sie heimliche Sabotagen in Fabriken, rissen Nazi-Aufrufe von den Wän- den, halfen Juden und politisch Verfolgten mit Lebensmittelmarken und gefälschten Papieren. Jetzt, da der Kampf gegen die Nazis vorbei ist, kehrt sie, so wird Ruth schlagartig klar, wohl wieder voll in ihren Beruf zurück: als Redakteurin einer Frauenzeitschrift.

Am Abend des 9. Mai hören sie und ihre Gefährten plötzlich Schüsse. Feuerbälle zerplatzen in der Luft. Die Sowjettruppen schießen Salut auf den Frieden. Auf der Straße flüchten die Menschen verängstigt in die nächsten Ruinen. „Die denken, der Krieg geht wieder los“, sagt einer der Freunde. „Schießen aus Freude sind sie nicht gewohnt.“

Die Unterwerfung

Karlshorst im Osten von Berlin, Hauptquartier der Sowjetstreitkräfte in Deutschland. Es ist der 8. Mai 1945. Kurz vor Mitternacht öffnet sich die Tür zum Offizierskasino der früheren Pionierschule. Nach stundenlangem Warten werden Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel und seine beiden Begleiter, ebenfalls hochrangige deutsche Generäle, hereingerufen.

In dem hell erleuchteten Saal sitzen Marschall Georgij Schukow, Oberkommandierender der Roten Armee, sowie Bevollmächtigte der USA und Großbritanniens an einem mit grünem Filz bedeckten Konferenztisch; hinter ihnen hängen die Fahnen der Siegermächte.

Schukow will wissen, ob die Eintretenden autorisiert seien, die Kapitulationsurkunde zu unterzeichnen. Als Keitel – in Paradeuniform mit allen Orden, Marschallstab in der Hand und ein Monokel im Auge – bejaht, fordert der Russe die deutsche Abordnung auf, an einen Tisch an der Seite zu kommen: „Hier werden Sie die ­Urkunde über die bedingungslose Kapitulation Deutschlands unterzeichnen.“

Keitel und seine beiden Begleiter treten wie befohlen vor, nehmen Platz und unterschreiben das Dokument, das ihnen in drei Sprachen vorgelegt wird; nach ihnen signieren die Vertreter der Alliierten. Es ist 0.16 Uhr am 9. Mai 1945.

Offiziell allerdings ist der Krieg da schon seit mehr als einer Stunde beendet. Denn das Schauspiel von Karlshorst ist juristisch eigentlich überflüssig: Bereits am 7. Mai hatte Generaloberst Alfred Jodl im Namen des deutschen Oberkommandos die Gesamtkapitulation aller Streit­kräfte im nordfranzösischen Reims unterzeichnet – wirk­sam ab 23.01 mitteleuropäischer Zeit des 8. Mai.

Doch Josef Stalin, der sich der Symbolkraft dieses Akts bewusst ist, hatte auf einer eigenen Unterwerfungszeremonie des besiegten Feindes in seinem Machtbereich bestanden. Deren Vorbereitung dauerte nun allerdings länger als gedacht. Damit trotzdem alles seine Ordnung hat, ist das am 9. Mai unterschriebene Dokument auf den Vortag datiert.

Groteske in Flensburg

Es ist ein bizarres Schauspiel, das im Mai 1945 an der Flensburger Förde aufgeführt wird: In der Marineschule in Mürwik amtiert unter strenger Aufsicht der Alliierten der deutsche Großadmiral Karl Dönitz, von Adolf Hitler zu seinem Nachfolger ausersehen – und tut so, als würde er immer noch einen Staat regieren.

Dönitz setzt ein Kabinett ein, dem ausschließlich NS-Größen wie Albert Speer und der SS-Obergruppenführer Wilhelm Stuckart angehören. Die verbliebenen Repräsentanten des Regimes hätten nun, so der Großadmiral am 9. Mai, „die eifrigsten Wächter zu sein über das ­Schönste und Beste, was uns der Nationalsozialismus gegeben hat, die Geschlossenheit unserer Volksgemeinschaft“.

Jeden Morgen um 10.00 Uhr treffen sich die Minister und ihre Staatssekretäre in einem ehemaligen Klassenzimmer zur Konferenz. Sie diskutieren, welche Flagge die deutschen Schiffe hissen sollen, nun da die Besatzungsmächte die Hakenkreuzfahne verboten haben. Beschließen, die allgegenwärtigen Hitlerporträts aus öffentlichen Räumen zu entfernen, damit die Bilder nicht beschmiert oder gestohlen werden können. Erörtern fantastische Zukunftspläne zum Wiederaufbau Deutschlands. Und nachdem die Alliierten den deutschen Soldaten untersagt haben, beim Marschieren zu singen, befiehlt Dönitz: „Es wird jetzt nur noch gepfiffen.“

Nach drei Wochen haben die Vertreter der Siegermächte genug von der Groteske: Der amerikanische Generalmajor Lowell W. Rooks, Chef der Alliierten Kontrollkommission, lädt Dönitz am 23. Mai vor und erklärt ihn in barschem Ton für verhaftet; ungeachtet seines Ranges habe man ihn einer Leibesvisitation unterzogen und ihm den Marschallstab abgenommen, ohne ihm eine Quittung dafür zu geben, wird sich der Groß­admiral später beklagen. Die Minister sowie 420 hohe Beamte und Offiziere werden kurz darauf gefangen genommen.

Das amerikanische Magazin „Time“ berichtet lakonisch: „Das Deutsche Reich starb an einem sonnigen Morgen des 23. Mai in der Nähe des Ostseehafens Flensburg.“

Die Letzten

Der Krieg ist vorbei, doch die deutschen Soldaten um Wilhelm Dege funken weiter. Längst haben sie sich an das Leben in der Arktis gewöhnt. Seit September 1944 halten sie ihren Posten, die Station „Haudegen“, an der Küste Nordostlands, der zweitgrößten Insel des Spitzbergen-Archipels, trotzen Kälte, Eisbären, Einsamkeit.

Für das deutsche Militär haben sie unter strengster Geheimhaltung wichtige Wetterdaten für die Kämpfe in Europa gesammelt. Und pflichtbewusst setzen die Männer auch nach der Kapitulation am 8. Mai 1945 ihre Messungen und Meldungen fort. Irgendwann wird man sie schon abholen. Monate vergehen. Bis endlich ein norwegisches Robbenfangboot vor der Station Anker wirft. Der Kapitän nimmt die improvisierte Kapitulation Deges entgegen: Die letzte Einheit der Wehrmacht gibt mit der formlosen Übergabe einer Pistole auf. Es ist der frühe Morgen des 4. September 1945.

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